Dienstag, 24. Januar 2012

D o r a D i a m a n t





Eine Frau wie ein Edelstein



Dora Diamant



- Kafkas letzte Freundin -



In ihrem kurzen Lebensbericht über ihre Bekanntschaft mit Franz Kafka berichtete 1948 Dora Diamant auch über eine lebensfrohe Besonderheit des Freundes und Lebenspartners, seine Freude an und Liebe für Kinder, die reale Gegenwart des zukünftigen homo vivens & ridens (wenn wir Kafkas Dichtung produktiv lesen):

(…) Als wir in Berlin [1923/24] waren, ging Kafka oft in den Steglitzer Park. Ich begleitete ihn manchmal. Eines Tages trafen wir ein kleines Mädchen, das weinte und ganz verzweifelt zu sein schien. Wir sprachen mit dem Mädchen. Franz fragte es nach «seinem Kummer, und wir erfuhren, daß es seine Puppe verloren hatte. Sofort erfindet er eine plausible Geschichte, um dieses Verschwinden zu erklären: »Deine Puppe macht nur gerade eine Reise, ich weiß es, sie hat mir einen Brief geschickt.« Das kleine Mädchen ist etwas mißtrauisch: »Hast du ihn bei dir?« »Nein, ich habe ihn zu Haus liegen lassen, aber ich werde ihn dir morgen mitbringen.« Das neugierig gewordene Mädchen hatte seinen Kummer schon halb vergessen, und Franz kehrte sofort nach Hause zurück, um den Brief zu schreiben.
Er machte sich mit all dem Ernst an die Arbeit, als handelte es sich darum, ein Werk zu schaffen. Er war in demselben gespannten Zustand, in dem er sich immer befand, sobald er an seinem Schreibtisch saß, ob er nun einen Brief oder eine Postkarte schrieb. Es war übrigens eine wirkliche Arbeit, die ebenso wesentlich war wie die anderen, weil das Kind um jeden Preis vor der Enttäuschung bewahrt und wirklich zufriedengestellt werden mußte. Die Lüge mußte also durch die Wahrheit der Fiktion in Wahrheit verwandelt werden. Am nächsten Tag trug er den Brief zu dem kleinen Mädchen, das ihn im Park erwartete. Da die Kleine nicht lesen konnte, las er ihr den Brief laut vor. Die Puppe erklärte darin, daß sie genug davon hätte, immer in derselben Familie zu leben, sie drückte den Wunsch nach einer Luftveränderung aus, mit einem Wort, sie wolle sich von dem kleinen Mädchen, das sie sehr gerne hätte, für einige Zeit trennen. Sie versprach, jeden Tag zu schreiben - und Kafka schrieb tatsächlich jeden Tag einen Brief, indem er immer wieder von neuen Abenteuern berichtete, die sich dem besonderen Lebensrhythmus der Puppen entsprechend sehr schnell entwickelten. Nach einigen Tagen hatte das Kind den wirklichen Verlust seines Spielzeugs vergessen und dachte nur noch an die Fiktion, die man ihm als Ersatz dafür angeboten hatte. Franz schrieb jeden Satz des Romans so ausführlich und so humorvoll genau, daß die Situation der Puppe völlig faßbar wurde: die Puppe war gewachsen, zur Schule gegangen, hatte andere Leute kennengelernt. Sie versicherte das Kind immer wieder ihrer Liebe, spielte dabei aber auf die Komplikationen ihres Lebens an, auf andere Pflichten und auf andere Interessen, die ihr im Augenblick nicht gestatteten, das gemeinsame Leben wieder aufzunehmen. Das kleine Mädchen wurde gebeten, darüber nachzudenken, und wurde so auf den unvermeidlichen Verzicht vorbereitet.
Das Spiel dauerte mindestens drei Wochen. Franz hatte eine furchtbare Angst bei dem Gedanken, wie er es zu Ende führen sollte. Denn dieses Ende mußte ein richtiges Ende sein, das heißt, es mußte der Ordnung ermöglichen, die durch den Verlust des Spielzeugs heraufbeschworene Unordnung abzulösen. Er suchte lange und entschied sich endlich dafür, die Puppe heiraten zu lassen. Er beschrieb zunächst den jungen Mann, die Verlobungsfeier, die Hochzeitsvorbereitungen, dann in allen Einzelheiten das Haus der Jungverheirateten: »Du wirst selbst einsehen, daß wir in Zukunft auf ein Wiedersehen verzichten müssen. Franz hatte den kleinen Konflikt eines Kindes durch die Kunst gelöst, durch das wirksamste Mittel, über das er persönlich verfügte, um Ordnung in die Welt zu bringen. (...)"
Aus: D.D.: Mein Leben mit Franz Kafka. In: „Als Kafka mir entgegenkam…“ Erinnerungen an Franz Kafka. Hg. v. Hans-Gerd Koch. 177f.

DORA DIAMANT, Kafkas Freundin und Lebensgefährtin in den Jahren 1923 bis zu seinem Tod:[auch Dora Demant oder Dymant geschrieben]; sie lebte von 1903-1952; aufgezeichnet wurden die Erinnerungen 1949 von Josef Paul Hodin; zuerst engl. 1948. Aus: Erinnerungen an Franz Kafka. 1949; in: Der Monat. I, Nr. 1-9.

Vgl. die Wiedergabe des Textes im Kafka-Archiv:

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Persönlich zu Dora Diamant:


Neuerdings ist Beziehung zwische Kafka und Frau Diamant literarisch nachgestaltet in Michael Kumpfmüllers Roman "Die Herrlichkeit des Lebens". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2011.


Click-an: Kumpfmüller-Rezensionen


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Kafkas Schreib- und Lebensspiel, das als Text leider nicht erhalten blieb, wurde von mehreren Autoren aufgenommen als Anregung zu eigenen Briefen an die Puppenmutter.

Der bekannteste ..., aber leider auch schon wieder vergessenste ist Klaus Nonnenmann:

Er schreib als dritten Brief eines gewissen Dr. med. Hubert Wambach ... an das erfundene Mädchen Ise (Kopperschmidt).

Zum reizenden Spiel des mitleidvollen und sprachlich und menschlich attraktiven Dr. Wambach gehört es, dass er der Empfänger der höchst kultivierten und für ein Kind "schwer verständlichen" Briefe ist - die er dann erfindungsreich der kleinen Ise erklären kann und muss...:

Nun also: das dritte epistologische Kunststück eines nächtlich schreibenden Pensionärs:


Fernmeldeamt 2
Telefonischer Auftragsdienst

Annahme [Allgemeines]: Für Sie wurde um 17.06 Uhr ein Ferngespräch einfach dringend – XP - R angenommen

aus: //PARIS [RF/3]//

für: Herrn Dr. med. Hubert Wambach, Apparat [F-Amt 2] 25413

Sein Inhalt wird - ohne Gewähr - wiedergegeben wie folgt:
[Das Gespräch enthält mehr als 15 Auftragsworte!]

Die Direktion des Hotel George V, avenue George V - Paris - wendet sich an Herrn Dr. med. Hubert Wambach mit der Bitte, ihr nach Möglichkeit über das Verbleiben
einer gewissen Mademoiselle Rapoun Celle Auskunft zu erteilen.
Mlle. Rapoun Celle [vermutlich deutsch-indischer Abstammung] verließ gestern nacht überraschend und ohne Abmeldung [und Liquidationsregelung!] ihr Zimmer.
Ihr Gepäck soll spärlich gewesen sein, jedoch nicht reichlicher als bei der Ankunft.
Telefonische Rückfragen aus hochherrschaftlichen Kreisen, die nicht genannt zu werden wünschen, sowie Nachforschungen der Sittenpolizei und des Haut Commissariat Des Affaires Etrangères [INTERPOL] lassen den Verdacht
aufkommen, es könne sich um Mordfall und Betrug, vielleicht um Hochstapelei oder politische Verwicklungen handeln [l' Algerie?!].
In der Nachttischschublade des verlassenen Zimmers fand sich lediglich ein Werberezeptformular der Firma Knoerringen/Sohn, ohne handschriftliche Zeichen. Im Aufdruck die Adresse: Dr. med. Hubert Wambach, Facharzt für Innere Medizin, Telefon: 25413.
Es wird demzufolge angenommen, daß Mlle Rapoun Celle sich in privater Behandlung bei oben genanntem Herrn befindet oder eine andere Kontaktmöglichkeit besteht.
Die Direktion George V wendet sich vertrauensvoll an Monsieur le Docteur und wäre für jedwelche Auskunft, die mit der ärztlichen Schweigepflicht zu vereinbaren ist,
zutiefst verbunden.

Aufgenommen und für
die Übersetzung:
Klärchen Laporte
Oberpostsekretärin

Am Apparat:
.Alpbonse Gamin
Sous-Directeur George V

P.S.: Sehr verehrter Herr Doktor Wambach!
Sie werden sich meiner nicht mehr erinnern. Sie haben mir, vor über neunzehn Jahren, eine beantragte Bäderkur abgelehnt. Mit Recht, wie ich sofort einsehen mußte.
Ich lernte durch diesen Umstand, weil ich nämlich zu der Tante aufs Land fuhr, Gustav kennen, meinen Verlobten und zukünftigen, geliebten Mann.
Dafür bin ich Ihnen auf ewig dankbar. Was wäre aus meinem Leben geworden ohne Ihre strenge ärztliche Pflichterfüllung?
Ihre ergebene Klärchen Laporte

Der Telefon-Auftragsdienst nimmt grundsätzlich nur Aufträge bis zu höchstens 15 [fünfzehn] Worten entgegen.
Ich freue mich, Ihnen dienlich sein zu können. K. L.
Bote bezahlt!


Höchst lesenswerte (für mich eine jährliche Pflichtlektüre...) der Originalroman mit den sieben Briefe einer "Lebenswoche":

Klaus Nonnenmann: Die sieben Brief des Doktor Wambach: Geschrieben, herausgegeben und zur abendlichen Lektüre empfohlen von K.N. 1957; erneut aufgelegt 2007.

Vondiesem Nonnenmann fibt es im Buchhandel keine lieferbarae Ausgabe; aber in jedem Antiquariat kann man beliebig viele Titel "fischen". Z.B. bei www.booklooker oder www.antiquario.de -

Der Verlag Kloepfer & Meyer stellt den "Dr. Hubert Wambach" hier nochmals vor, mit einigen Innenseiten.

Eine Frau wie ein Edelstein:

Frau Diamant war Kafkas große und großmütige Problemlöserin; während der Bekanntschaft und intendierten Ehe mit ihr konnte er den pathogenen Lebens- und Schreibkomplex 'Prag und Familie' auflösen, ohne ihn zu verdrängen.
Nachweisbar ist, dass die "Erlaubnis um eine Ehe mit Dora", die Kafka nach 'Prag' richtete, von Vater und dem "eingeschalteten Rebbe' 'abschlägig beschieden' wurde.

Dora Diamants kurzer, verständnis-intensiver Bericht müsste jede(r) Kafka-LeserIn zuvörderst ausgehändigt bekommen - ob in der Schule oder in den Leseschulen des Lebens; z. B. in Buchhandlungen, die an 'Kafka' immer noch die Wa(h)ren-Gewinnnehmer sind ...

Ein englischsprachiges Interview mit Kathi Diamant vermittelt über Liebeswertes über Dora Diamant und Franz Kafka.

Über Kathi Diamants Dora D. & Franz K. - Buch; leider bisher nur in Englisch.





1 Kommentar:

  1. Ihr habt wirklich eine gute Art. Gute Art die Informationen bereit zu stellen und ich konnte mich darauf beziehen. So eine tolle Information für mich. Danke für das.
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