Dienstag, 12. November 2013

Juchzer: "juchu!" oder "juchu!"


                                 
Der Autor, Schönheit schneidend


H u c h: Juchzer wie „Juchu!“ oder „Juchhu!“ Aber nie: *juchzu!


Ob Rechtschreibfragen eine Angelegenheit von „Juchzern“, pardon, genauer von „juchu!“ oder „juchhu!“ sein sollten?

Susanne Flach, eine „Juchu"-Sprachwissenschaftlerin, präsentieret sich hier voll-schrei-mundig.


Sammt, pardon: samt [so ist es normalisiert richtig!] Kommentaren:

http://www.sprachlog.de/2013/11/12/juchu-kein-fehler/#comment-155648

[Dort fügte ich als „Antonia R. (…)“ einige, hier wiederholte Akzente ein.]

Wo noch weiter Rat suchen (... über die dort beigeholten Belege hinaus)?

„Juchhu!“, ich weiß:


Im dwds.de gibt es mehr Varianten mit "juchhu", der Vorsprung gegenüber "juchu" ist aber nur gering:

Hier sei ein Bauc-, pardon: Buchstabieren ausgedruckt:

„Sehr artig sandte er an alle Bekannten Abschiedskarten" p. p.c. , schrieb der Zeitung einen Brief und hinterließ einen Vierzeiler: "Jetzt bin ich mausetot - juchhu ! !“ (Berliner Tageblatt (Morgen-Ausgabe) vom 04.03.1926)

Der andere Juchzer, beibringend die ca. Jahrhunderte ale Kinderllteratur:

„Geheimnisvoll - das ist doch klar wie Kloßbrühe, Großmama. In acht Tagen geht's nach Tübingen auf die Universität - juchhu ! Annemaries lauter Jauchzer ließ die alte Dame erschreckt zusammenfahren.“ (Ury, Else: Nesthäkchen fliegt aus dem Nest. Stuttgart: K. Thienemanns 1920. S. 12)

Hier liegen natürlich schon rechtschreiblich normalisierte Verhältnisse. Litteratura docet: Gedruckt wird, wie Duden es vorschreibt. Das sah man seit dem Kultusministerkonferenz-Beschluss von 1906 als kulturelles Selbstverständnis.

„Juche!“ – Ja.

Aber auch „juhe!“ Oder „juhu!“. Man&frau hört es alpenländisch-gebirgstonal juchzen oder juchzern oder jodeln!

Nein, keine voreiligen Schlüsse zu „Volksetymologie“:
‚Jodeln’ wird abgeleitet von ‚johlen“. – Da versagt des Volksliedes liebe Stimme.



Dass "w00t" als (mir zu komplizierte) Abkürzung wikipedisiert ist, bedeutend: "erstaunt-erfreutes „Wie bitte?“; erfreutes „Juchhu!“, bitte, juche, voll daneben! Mensch muss sich schon mehr Umschauen leisten als nur auf das eigene "Gehege der Zähne", wie das Mundwerk oder der Entäußerungsort der eigenen Laute bei Homer genannt wird, ist eine eutopische Regel. 'Mundwerk' sei es gescholten.

Letztes Juche! (Laut gedacht, aber, versprochen, ganz leise mar- und kopieret):

Mir absolut fremd, mir unklar, wie die Rechtschreibung hier sich da geriert: ein femdes "Juche!"?
Juche! – Hier fand ich Untat und Rat:



Sonntag, 10. November 2013

Fritz Reck-Malleczewen: "Die Fabrik"

                           
- "Phrygische Mützen" von F. R.-M. -


Deutsch-baltische Erinnerungen an vergessene Autoren und ihre Texte II:

Fritz R e c k - M a l l e c z e w e n  (*11. August 1884 auf dem Gut Malleczewen (Kreis Lyck) in Ostpreußen; † 16./17. Februar 1945 im KZ Dachau)


R.-M., ein Irrläufer der Geschichte? 

Ein zu Unrecht Vergessener? Ein Sonderling eigenster Prägung (wenn denn überhaupt ein Superlativ ausreicht...)? Abseits des eigentlich baltischen Sprach-und Herrschaftsraums - Livland, Kurland - zeigt hier ein gebürtiger Masure privat-prophetische Empathie und historische Kenntnis von einer Revolutionsepisode im Rigaer Umkreis. Welche dokumentarische Kenntnis ihn dazu befähigte, ist mir noch unbekannt.

Hier möchte ich den Erzählband „Phrygische Mützen“ vorstellen, für den die Rechte 1922 beim Drei Masken Verlag*. München liegen (heute sicherlich bei R.-M.s Erben, denen ich nicht vorgreifen möchte).

Ich biete hier zum Thema Krieg in Livland, als dem russischen Raum, die Exposition einer Kurznovelle, die sich in einer Stadt an der Düna erzählerisch ausbreitet, wo eine Kautschukfabrik besetzt wird, in den Wirren der Revolution der Jahre um 1905 im baltisch-russischen Raum…


Fritz R e c k - M a l l e c z e w e n:
D i e F a b r i k
(Kurznovelle)


Im Osten verdämmerte über Sand, Sumpf und gelben Birkenwäldern die weite Ebene, verlor sich dort weit, weit hinter den gewaltigen, den menschenleeren Forsten in das große gärende Rußland der aufbrüllenden Großstädte, der zaristischen Manifeste, der meuternden Garderegimenter und der fabelhaften Straßenkämpfe.
Hier an der westlichen Peripherie des Reiches, an der baltischen Küste, fraß die große Industriestadt sich mit den barbarischen Ausläufern ihrer Proletariersiedlungen hinaus ins Vorgelände, versammelte täglich in riesigen Meetings fünfzigtausend gegen den Zaren, gegen die Oberschicht, gegen das Kapital aufheulende lettische Arbeiter, mordete im Dunkeln, in den mittelalterlichen Schlupfwinkeln, schickte Strafexpeditionen hinaus zu den Adelssitzen, brannte, schändete und wütete gegen die aristokratische stille Kultur des Landes: "Wärest Du nur ein Sklavenhalter, wie die Fabrikherren der Stadt, wir sprengten nur Deine Schatzkammer und ließen Dich doch sonst ungeschoren! Wehe Dir aber, wenn Du ein Ritter, wenn Du ein wirklicher Herr bist mit einem anderen Hirn, als das unsere ist; so werden wir Dich auf heißen Ziegeln tanzen lehren und Dich zwingen, Deines geschlachteten Weibes Blut in saufen!"
In der weiten ebene im Osten der Stadt, wo die Düna seit Jahrhunderten ungeheure Kiesbänke ablagert, lag, eigentlich eine ganze Stadt für sich riesige Kautschoukfabrik: Bestien rotverblendeter Verwaltungsgebäude aus kanariengelben Ziegeln, Irrgänge verräucherter Höfe, atembeklemmende Lichtschächte, ein Gewirr von Benzintanks, Kesselhäusern .... fünf langgestreckte radienförmig ausstrahlende Hallen mit schiefen Pultdächern. . . . das Ganze umgeben den trostlosen Eisenzäunen .... eine Ausgeburt des Maschinenwahnsinns, eine häßliche Spinne, die sich gierig hineinfraß in das weite Bauernland. In dieser Fabrik nun hatte man vor vierzehn Tagen die Direktoren ermordet, die zweitausend Arbeiter hatten sich, die drohende Strafexpedition witternd, mit Weibern und Kindern in einem Teil der Anlagen verbarrikadiert, hausten dort wie in einer Festung und sahen im Besitze ihrer Waffen den Dingen mit wildem Trotz entgegen.
Gegen das Novemberende schickte die Regierung, die die große Stadt allmählich einschloß, die ersten Truppen: es war Spätnachmittag und das Licht schon in völligem Schwinden, als die dritte Schwadron der kaiserlichen Chevaliergarde in die zur Fabrik gehörige Siedelung Schreyenbusch einritt. Zuerst ritt der Vorsänger mit dem Schellenbaum*) und dahinter trottete der Schwadronsziegenbock Iwan Pawlowitsch, und dann fielen
hinter diesen eleganten und stark parfümierten Offizieren die Soldaten ein mit einem jener sechzehnstimmigen höchst kunstvollen Lieder des russischen Heeres, die wie gothische Hymnen klingen, bei deren Text sich aber doch jeder Hamburger Leichtmatrose schamrot bei Seite schleichen würde ...
(…)

*) Jedes russiche Kavallerieregiment führt neben der Musik geschulte Vorsänger. (O-Fußnote des Autors)
Das Buch, dem die Novelle entnommen wurde, ist recht preiswert käuflich im antiquarischen Buchhandel; z. B. hier mit dem prächtig aufgemachten Titelbild der „roten Mützen“.

Zur Information über den vielfältigen Denkeer und Dichter R.-M. auf Wikipedia:


 (Hier fehlt die Erwähnung des Novellenbandes „Phrygische Mützen“. 1922)
R.-M.s „Tagebuch eines Verzweifelten“, ist sicherlich das wichtigste Werk, in der Neuauflage bei Eichborn in Frankfurt am Main (1994), als Neuausgabe. Mit einem biographischen Essay von Christine Zeile. Bei Bastei-Lübbe/Eichborn ist kein Titel von R.-R. mehr im Angebot. – Das Thema des „Tagebuchs eines Verzweifelten“ zeigt uns, den „Nachgeborenen“. Verhältnisse, die sich zwar bis 1945 militärisch erschöpft haben, aber in unterschiedlichen Formen immer präsent bleiben in Maskierungen, in Eruptionen, in Überraschungen, wenn auch unerwünscht.
*
Als biografischen, literarischen Artikel empfehle ich den Essay zu R.-M.:

„R.-M.: In: Hans Sarkowicz u. Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Hamburg/Wien ²2000: Europa Verlag. S. 334ff.

Für mich, bei meine literarischen und historischen Interessen an deutsch-baltischen und livländischen, lettischen Themen ist „Die Fabrik“ eine überraschender Einblick in die sozialen, hier: proletarischen, Unruhen in der Stadt Riga und ihrer Peripherie in Liv- und Kurland, die ansonsten in vielen bürgerlich und/oder gutsherrschaftlich, landwirtschaftlich geprägten, teils idyllischen Porträts angeboten wird.
Revolutionäre Verläufe finden sich ansonsten selten; jedoch in Siegfried von Vegesacks Romanwerk „Die baltische Tragödie“ (1934/35).


Letzte Meldung für R.-M.:

Klaus Harpprecht setzt sich in seinen Erinnerungen „Schräges Licht“ (2014, S. 120f.) mit R-M. auseinander. Er beschreibt, wie er 1947 mit dessen Erinnerungen aus dem Nazi-UnReich in Berührung kam. Und schildert ihn als eine seltsame und seltene Existenz.
„Sein später Monarchismus berührte mich seltsam. Umso eindrucksvoller sein Vorausblick auf den Zweiten Weltkrieg. Alls es so weit war, vermerkte er mit Entsetzen die Massenexekutionen an Juden in Polen und Russland; beim Aufenthalt an einem Bahnhof erkannte einen Transport russischer Kriegsgefangener am barbarischen Gestank, der aus den Waggons drang, Exkremente und Verwesungsgeruch...“

Harpprecht selbst gab 1966 das Tagebuch eines Verzweifelten, Zeugnis einer inneren Emigration. Stuttgart (Goverts) 1966, als Neuausgabe heraus, mit einem Vorwort von K. H. - eine Ausgabe, die in den Internet-Antiquariaten verloren ist.

* Der neugegründete Drei Masken V0erlag, Berlin, setzt die Erinnerung an R.-M. fort; er verlegt die Komödie "Bomben auf Monte Carlo".

Fritz Reck-Malleczewen: Die Fabrik

Deutsch-baltische Erinnerungen an Autoren und Texte II:

Fritz Reck-Malleczewen (1884 - 1945)


R.-M., ein Irrläufer der Geschichte? Ein zu Unrecht Vergessener? Ein Sonderling eigenster Prägung (wenn denn überhaupt ein Superlativ ausreicht...)?

Hier möchte ich den Erzählband „Phygische Mützen“ vorstellen, für den die Rechte 1922 beim Drei Masken Verlag. München liegen (heute sicherlich bei R.-M.s Erben, die ich nicht kenne).

Ich biete hier die Exposition einer Kurznovelle, die sich in einer Stadt an der Düna erzählerisch ausbreitet, wo eine Kautschukfabrik besetzt wird, in den Wirren Revolution der Jahre um 1905 im baltisch-russischen Raum…

Fritz Reck-Malleczewen:

Die Fabrik
(Kurznovelle)

Im Osten verdämmerte über Sand, Sumpf und gelben Birkenwäldern die weite Ebene, verlor sich dort weit, weit hinter den gewaltigen, den menschenleeren Forsten in das große gärende Rußland der aufbrüllenden Großstädte, der zaristischen Manifeste, der meuternden Garderegimenter und der fabelhaften Straßenkämpfe.
Hier an der westlichen Peripherie des Reiches, an der baltischen Küste, fraß die große Industriestadt sich mit den barbarischen Ausläufern ihrer Proletariersiedlungen hinaus ins Vorgelände, versammelte täglich in riesigen Meetings fünfzigtausend gegen den Zaren, gegen die Oberschicht, gegen das Kapital aufheulende lettische Arbeiter, mordete im Dunkeln, in den mittelalterlichen Schlupfwinkeln, schickte Strafexpeditionen hinaus zu den Adelssitzen, brannte, schändete und wütete gegen die aristokratische stille Kultur des Landes: "Wärest Du nur ein Sklavenhalter, wie die Fabrikherren der Stadt, wir sprengten nur Deine Schatzkammer und ließen Dich doch sonst ungeschoren! Wehe Dir aber, wenn Du ein Ritter, wenn Du ein wirklicher Herr bist mit einem anderen Hirn, als das unsere ist; so werden wir Dich auf heißen Ziegeln tanzen lehren und Dich zwingen, Deines geschlachteten Weibes Blut in saufen!"
In der weiten ebene im Osten der Stadt, wo die Düna seit Jahrhunderten ungeheure Kiesbänke ablagert, lag, eigentlich eine ganze Stadt für sich riesige Kautschoukfabrik: Bestien rotverblendeter Verwaltungsgebäude aus kanariengelben Ziegeln, Irrgänge verräucherter Höfe, atembeklemmende Lichtschächte, ein Gewirr von Benzintanks, Kesselhäusern .... fünf langgestreckte radienförmig ausstrahlende Hallen mit schiefen Pultdächern. . . . das Ganze umgeben den trostlosen Eisenzäunen .... eine Ausgeburt des Maschinenwahnsinns, eine häßliche Spinne, die sich gierig hineinfraß in das weite Bauernland. In dieser Fabrik nun hatte man vor vierzehn Tagen die Direktoren ermordet, die zweitausend Arbeiter hatten sich, die drohende Strafexpedition witternd, mit Weibern und Kindern in einem Teil der Anlagen verbarrikadiert, hausten dort wie in einer Festung und sahen im Besitze ihrer Waffen den Dingen mit wildem Trotz entgegen.
Gegen das Novemberende schickte die Regierung, die die große Stadt allmählich einschloß, die ersten Truppen: es war Spätnachmittag und das Licht schon in völligem Schwinden, als die dritte Schwadron der kaiserlichen Chevaliergarde in die zur Fabrik gehörige Siedelung Schreyenbusch einritt. Zuerst ritt der Vorsänger mit dem Schellenbaum ) und dahinter trottete der Schwadronsziegenbock Iwan Pawlowitsch, und dann fielen
hinter diesen eleganten und stark parfümierten Offizieren die Soldaten ein mit einem jener sechzehnstimmigen höchst kunstvollen Lieder des russischen Heeres, die wie gothische Hymnen klingen, bei deren Text sich aber doch jeder Hamburger Lichtmatrose schamrot bei Seite schleichen würde.....
(…)
Das Buch, dem die Novelle entnommen wurde, ist recht preiswert käuflich im antiquarischen Buchhandel; z. B. hier mit dem prächtig aufgemachten Titelbild der „roten Mützen“: http://www.booklooker.de/B%C3%BCcher/Fritz-Reck-Malleczewen+Phrygische-M%FCtzen-Der-Tag-der-Tuilerien-Der-Tag-von-Saint-Denis-Urban/id/A01ofZ4p01ZZd?zid=f80d24dbadc19a74a93a0a7c92e1b766

Zur Information über den vielfältigen Denker und Dichter auf Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Reck-Malleczewen
(Hier fehlt die Erwähnung des Novellenbandes „Phrygische Mützen“.)
R.-M.s „Tagebuch eines Verzweifelten“, ist sicherlich das wichtigste Werk, in der Neuauflage bei Eichborn in Frankfurt am Main (1994), als Neuausgabe. Mit einem biographischen Essay von Christine Zeile. Bei Bastei-Lübbe/Eichborn ist kein Titel von R.-R. mehr im Angebot. – Das Thema des „Tagebuchs eines Verzweifelten“ zeigt uns „Nachgeborenen“ Verhältnisse, die sich zwar bis 1945 militärisch erschöpft haben, aber in unterschiedlichen Formen immer präsent bleiben in Maskierungen, in Eruptionen, in Überraschungen, wenn auch unerwünscht.
*
Als biografischen, literarischen Artikel empfehle ich:
Essay:
„R.-M.: In: Hans Sarkowicz u. Alf Mentzer: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Hamburg/Wien ²2000: Europa Verlag. S. 334ff.
Für mich, bei meine literarischen und historischen Interessen an deutsch-baltischen Themen ist „Die Fabrik“ eine überraschender Einblick in die sozialen, hier: proletarischen, Unruhen in der Stadt Riga und ihrer Peripherie in Liv- und Kurland, die ansonsten in vielen bürgerlich und/oder gutsherrschaftlich, landwirtschaftlich geprägten, teils idyllischen Porträts angeboten wird.
Revolutionäre Verläufe finden sich ansonsten selten; jedoch in Siegfried von Vegesacks Romanwerk „Die baltische Tragödie“ (1934/35).